Multiple Choice


> zurück zur Übersicht

 

Multiple Choice-Tests zur Leistungsbemessung?



Mit der Umstellung auf und Umsetzung des Bachelor- und Mastersystems stieg zugleich die Anzahl abgenommener Prüfungen massiv an, ohne dass parallel dazu die Anzahl qualifizierter PrüferInnen in adäquatem Ausmaß gewachsen wäre. Dazu kommt eine starke Ausrichtung der Lernziele auf das Abfragen faktischen Wissens hin, die wesentlich in der erklärten Funktion des Bachelorstudiums begründet liegt. Die Form von Multiple Choice erlaubt es, eine große Menge von Tests in kurzer Zeit auszuwerten, schließt allerdings wesentliche Momente einer Leistung aus, wie sie an einer Universität, insbesondere in den Geisteswissenschaften, traditioneller- und berechtigterweise verlangt wird.

Insbesondere - wie bereits angemerkt - in den Geisteswissenschaften, in denen die Form des Multiple Choice-Tests sich ebenfalls wachsender Beliebtheit erfreut, aber auch in allen anderen Bereichen gehören die Fähigkeiten, die eigenen Gedanken artikuliert und präzise auszudrücken, Inhalte einer gründlichen und systematischen Kritik zu unterziehen sowie in Anknüpfung an diese Kritik eigenständig Inhalte auszuarbeiten, zum Kern dessen, was unter wissenschaftlicher Arbeit zu verstehen ist. Jedoch sind die Multiple Choice-Tests nicht geeignet, das Vorhandensein solcher Fähigkeiten zu prüfen, geschweige denn sie zu entwickeln. Stattdessen sind sie geeignet, außerhalb eines souveränen Umgangs mit Sprache Lösungen zu konkreten Problemen eruieren zu lassen; daher ist eine solche Testform in solchen Fächern wie z.B. der Mathematik oder zu bestimmten Zwecken zwar keineswegs abzulehnen, ihre wesentlich breitere Anwendung zum Zweck eines möglichst ökonomischen Abfragens sollte aber gründlich hinterfragt werden.
Dazu kommen Probleme mit der Ausgewogenheit der Bewertung. Der Aufgabe, das Raten oder die so genannte "Testfähigkeit" als Lösungsmethode auszuschließen, dadurch beikommen zu wollen, dass man etwa mehrere richtige Antworten einbaut und Punkte genau dann vergibt, wenn alle und nur die richtigen Antworten angekreuzt werden, stellt in letzter Konsequenz eine Ignoranz gegenüber dem Denken dar. Seit wann schließlich ist es keine ernstzunehmende und wichtige Leistung, eine im Resultat teilweise richtige oder sogar eine falsche Antwort intelligent begründen zu können? Soll man nicht gerade das Begründen an der Universität erlernen und stetig üben? Sollte das Überprüfen dieser Fertigkeit nicht zentral für eine Leistungsbemessung sein?
Den Beschränkungen, die der Objektivität der Bewertung entgegenstehen, kann man mit abgewandelten Formen des Tests somit nur scheinbar zuvorkommen. In Wirklichkeit wird den Studierenden oft genug in einer Situation, in der Argumentationsgang und Entwicklung des Gedankens in erster Linie gewichtet werden sollten, die Möglichkeit genommen, diese Entwicklung darzustellen. Aber was bedeutet das?

 

Es stellt sich hier die Frage, ob nicht eine Parallele besteht zwischen der Forderung der Ökonomie, praktikable Problemlösungen so schnell wie möglich und auf welchem Wege auch immer finden zu können und der (An-)Forderung der durch die Umsetzung von "Bologna" entstandenen neuartigen Prüfungslast, große Massen von Studierenden bei einer geringen Anzahl von Prüfern in einheitlicher Form auf diese Fähigkeit hin testen zu müssen. So unproblematisch die erste Forderung möglicherweise klingen mag, sie ist mit der zweiten gleichförmig. Vergleichbarkeit, die auf Kosten von wesentlich wissenschaftlichen, aber nicht auf die Form von Items zu bringenden Tätigkeiten hergestellt werden soll, mutet wie die Ankündigung eines seltsamen Bruchs an.

 

Ist dieser Bruch nicht das Einfügen der universitären Arbeit in ein Ziel- und Wertesystem der Ökonomie, das einer solchen Arbeit äußerlich und in vierlei Hinsicht schädlich ist? Liefert der Multiple Choice-Test in Fächern wie der Philosophie nicht eine Illustration dessen, was unter einer Ökonomisierung des Studiums verstanden werden kann? Ist eine Universität nicht der Ort, an dem das Denken frei von Zeitdruck, überhaupt von gezieltem Druck ist, an dem es in seiner ganzen Ausführlichkeit, die einer Sprache bedarf und nicht vorgelieferter Antworten, zu denen man so effizient wie möglich einen Weg finden muss, alle Rand- und Grenzzonen einer Frage, alle Kontexte und alle offenen Wege bedenken muss?

 

Und wieso sollte sich dieses Denken so oft mit einer Reduktion auf "Kernbegriffe" abspeisen lassen? Wieso sollte es mittels einer solchen Reduktion bewertet werden? Hier klafft eine Lücke auf.

 

Man wird erwidern, dass in einer zeitlich begrenzten Situation einer Prüfung die Lücke ohnehin gegeben ist. Aber die Sprache findet immer Auswege. Man kann offene Fragen aufzeigen, nicht berücksichtigte Momente, zeigen, dass man denken kann und wie man denkt. Man kann Begriffe verwenden, die nicht bereits in einer Antwort liegen.

Die hohe Prüfungslast geht nicht nur auf Kosten der selbstständigen Arbeit von Studierenden, sondern versetzt auch PrüferInnen in den Zwang, "sparsame" Lösungen finden zu müssen. Da diese Zwänge der wissenschaftlichen Arbeit in vielen Bereichen zuwiderlaufen und das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden allzu oft auf eines der Verarbeitung und Abfertigung reduzieren, müssen andere Lösungen gefunden werden, die diese Zwänge aufheben: mehr Lehrstellen statt unzulänglicher Prüfungsformen; bessere und aufmerksamere Betreuung statt einer automatisierten Verifizierung von Faktenwissen; vor allem andere Prüfungsformen, die eine eigenständige Arbeit mit den Begriffen erlauben und diese Arbeit demonstrieren lassen. 

 

Problem:

- Einführung von Multiple Choice Tests als allgemein gängige Prüfungsform.

 

Kritik:

- Vor allem in den Geisteswissenschaften steht diese Prüfungsform im Kontrast zum Anspruch dieser Wissenschaftsdisziplinen.

- Begründungen, Ausführungen, Transparenz für eine getroffene Entscheidung bei MC-Tests irrelevant.

- MC-Test in Philosophie ist "Sinnbild" für die Ökonomisierung der Universität.

 

Forderung:

- Schaffung anderer Lösungen für die aus den mangelnden Kapazitäten entstandenen Prüfungsformen wie Multiple-Choice-Klausuren.